Das Coronavirus stellt für die Gesundheit der Forschenden eine unmittelbare Bedrohung dar. Sind Sie an der Griffith University entsprechend ausgestattet, um mit Coronaviren zu arbeiten? Und wie sieht das am Fraunhofer ITEM aus?
MvI: Am Institute for Glycomics der Griffith University sind wir mit modernen S3-Labors ausgestattet, in denen wir sowohl zellbasierte als auch tierexperimentelle Studien zum Coronavirus durchführen können.
AB: In Hannover kooperieren wir bei Arbeiten mit Viren eng mit dem TWINCORE und der MHH. Arbeiten im Rahmen von iCAIR® werden in den dortigen S3-Labors ausgeführt, die von uns aus gleich gegenüber auf der anderen Straßenseite liegen. Thomas Pietschmann und Ulrich Kalinke vom TWINCORE, ein von HZI und MHH gemeinsam betriebenes Forschungsinstitut, sind vor Kurzem in das iCAIR®-Konsortium mit eingestiegen und stellen aufgrund ihrer außerordentlichen immunologischen und virologischen Expertise eine perfekte Ergänzung für die Forschung zum Coronavirus dar.
Ein Ansatz, den Sie verfolgen, ist die Wiederverwertung existierender Medikamente für neue Anwendungen, das sogenannte »Drug Repurposing«. Könnten Sie uns das genauer erklären? Und welche Kandidaten haben Sie dafür ins Auge gefasst?
MvI: Das Institute for Glycomics hat Zugriff auf über 3000 existierende Arzneimittel, die wir gegen COVID-19 prüfen werden, und zwar sowohl in primären als auch in Ex-vivo-Zellmodellen auf der Basis menschlicher Atemwegszellen. Dies bezeichnet man als Drug Repurposing, das heißt man schaut, ob es bereits Medikamente gibt, die gegen andere Erkrankungen eingesetzt werden und die möglicherweise auch gegen COVID-19 wirksam sein könnten.
AB: In diesem Projekt werden wir Substanzen verwenden, die von der Griffith University, dem HZI und dem Fraunhofer IME – Screening Port mit verschiedenen Hochdurchsatz-Screening-Ansätzen getestet wurden. Die vielversprechendsten Kandidaten werden ausgewählt und dann weiter entwickelt. Interessant ist an diesem Vorgehen, dass es die Möglichkeit einer frühzeitigen Validierung von Kandidaten bietet, wenn diese durch verschiedene Screening-Verfahren selektiert werden.
Wodurch zeichnet sich ein vielversprechender Kandidat aus? Aktuell sind ja bereits zahlreiche Arzneimittel als Kandidaten im Gespräch.
MvI: Ein vielversprechender Kandidat ist ein bereits existierendes Arzneimittel, das gegen COVID-19 gut wirksam und dabei sicher ist.
AB: Ja, das wäre perfekt, wenn man einfach ein bereits zugelassenes Medikament verwenden könnte. Aber die Wirklichkeit wird wohl anders aussehen: Selbst wenn ein existierendes Medikament gegen SARS-CoV-2 wirksam sein sollte, müsste es für diese spezielle Anwendung noch optimiert werden. Es könnte zum Beispiel inhalativ verabreicht werden, um in den Atemwegen, also dort, wo das Infektionsgeschehen im Wesentlichen stattfindet, ausreichend hohe lokale Konzentrationen zu erreichen.
Viele Pharmaunternehmen screenen zurzeit ihre eigenen Moleküldatenbanken nach geeigneten Arzneimittelkandidaten. Inwiefern birgt Ihr Ansatz gegenüber diesem Vorgehen einen Vorteil?
MvI: Unser Vorteil liegt vor allem darin, dass wir für das screenen potenzieller Arzneimittel hochgradig relevante Zellmodelle auf der Basis menschlicher Atemwegszellen verwenden. Darüber hinaus nutzen wir einen erstklassigen Ansatz, der auf Strukturinformationen basiert und die Entdeckung weiterer Arzneimittel ermöglichen wird.
Angenommen ich wäre CEO eines großen Pharmaunternehmens. Welche Art Unterstützung oder Beitrag würden Sie sich von mir wünschen? Oder anders ausgedrückt: Wie kann ich zu iCAIR® beitragen und was können Sie mir bieten?
MvI: Ein umfassendes Screening existierender Arzneimittel und die Verwendung eines Ansatzes auf der Basis von Strukturinformationen zur Wirkstoffentdeckung kosten sehr viel Geld. Wir haben großes Interesse daran, mit Pharmaunternehmen zusammenzuarbeiten. Eine iCAIR®-Partnerschaft in Form von größeren finanziellen Zuwendungen oder auch Sachleistungen wie beispielsweise die Durchführung kostspieliger Transkriptom-Analysen würde es uns ermöglichen, unsere Arbeiten signifikant zu beschleunigen. .
Was die iCAIR®-Forschung angeht, wenn Sie mal optimistisch planen: Welche sichtbaren Ergebnisse wird es aus heutiger Sicht in drei bis sechs Monaten geben?
MvI: In drei bis sechs Monaten würde ich vermuten, dass wir ein großes Stück weiter sind bei der Identifizierung geeigneter Medikamente, die dann in die iCAIR®-Pipeline fließen könnten. Nach sechs bis neun Monaten wären dann vermutlich einige der ersten gefundenen Kandidaten bereit für erweiterte präklinische Studien. Mit den Ergebnissen aus diesen Studien wäre die Grundlage geschaffen, erste klinische Studien im Menschen beginnen zu können.