Frau Dr. Escher, können Sie ein Beispielprojekt nennen?
In dem Projekt EU-ToxRisk haben wir kürzlich eine Fallstudie abgeschlossen, in der die systemische Toxizität einer verzweigten Carbonsäure über eine Kombination aus In-vitro- und In-silico-Modellen bewertet wurde. Dies wurde im Rahmen eines Read-Across-Ansatzes mit zehn strukturellen Analoga realisiert. Zu drei strukturell verwandten Stoffen lagen auch Daten vor. Ein Team aus 14 akademischen Instituten war an der Entwicklung der Teststrategie beteiligt. Basierend auf den vorliegenden In-vivo-Daten wurde die folgende Read-Across-Hypothese abgeleitet: Die zu beurteilende Carbonsäure 2-Ethylbuttersäure, 2-EBA, wirkt leberschädigend und kann möglicherweise eine Steatose verursachen. Mithilfe der NAM-Daten konnte gezeigt werden, dass diese Read-Across-Hypothese nicht zutrifft, indem sie innerhalb der gruppierten Chemikalien eine konstante Tendenz in Bezug auf Toxikokinetik und Toxikodynamik zeigten.
Zur Charakterisierung der Toxikodynamik wurden publizierte Signalwege, die zu Steatose führen, aus der Literatur zusammengetragen und in einem AOP-Netzwerk beschrieben. AOP ist aus dem Englischen »Adverse Outcome Pathway« abgeleitet. In zwei Hochdurchsatzmodellen wurden einige der beschriebenen auslösenden Ereignisse auf Molekularebene, kurz MIEs für »Molecular Initiating Events«, gemessen. Weiter wurden drei Lebermodelle zur Messung von Lipidakkumulation eingesetzt, die als direktes In-vitro-Pendant zur In-vivo-Steatose betrachtet wurden. Es zeigte sich, dass die Anzahl der aktivierten MIEs und die Induktion der Lipidakkumulation mit der Seitenkettenlänge der getesteten Carbonsäure zunimmt, während kurzkettige Analoga wie 2-EBA inaktiv sind. Dieses Ergebnis stimmt sehr gut mit den In-vivo-Daten überein.
Die nächste Frage, die sich stellt, ist, wie man basierend auf In-vitro-Versuchen eine Dosis ableitet, unterhalb derer kein Risiko für die menschliche Gesundheit besteht. Hierzu wurde ein auf der menschlichen Physiologie basierendes Modell, also ein PBPK-Modell, im Projekt EU-ToxRisk weiterentwickelt. Das PBPK-Modell erlaubt eine Umrechnung von einer in vitro gefunden Dosis auf eine im Menschen equivalente Dosis, besser bekannt unter dem Begriff In-vitro-zu-in-vivo-Extrapolation. Die Ergebnisse dieser erfolgreichen Fallstudie werden zurzeit von Toxikologen verschiedener nationaler und internationaler regulatorischer Behörden überprüft. Eine Veröffentlichung ist für 2019 vorgesehen.