Fraunhofer-Magazin 2/2021

Im Wettlauf mit den Viren

Pressemitteilung /

Mit dem Klimawandel werden tropische Moskitos zunehmend heimisch in Deutschland und verbreiten gefährliche Krankheitserreger. Auch hiesige Mücken sind mittlerweile Überträger. 60 Prozent der Infektionskrankheiten beim Menschen haben ihren Ursprung bei Tieren. Das West-Nil-Virus hat sich in der Gegend um Leipzig, Halle und im südlichen Brandenburg bereits ausgebreitet. Zika, Dengue und Co. werden kommen. Die nächste Pandemie ist nur eine Frage der Zeit. Wie lassen sich Impfstoffe schneller herstellen?

Tigermücke in Nahansicht
© Alamy/F1 online
Die wärmeliebende Ägyptische Tigermücke gilt als Hauptüberträger von Gelbfieber, Dengue und Zika.

Die Gefahr von Zoonosen, also von Krankheitserregern, die vom Tier auf den Menschen überspringen, steigt. Das »Global Virome Project«, eine internationale Forschungsinitiative, schätzt, dass es momentan etwa 1,6 Millionen verschiedene Viren gibt, die in Säugetieren und Vögeln zirkulieren. Davon sollen etwa 700.000 das Potenzial haben, Menschen zu infizieren. Nicht alle werden von Mensch zu Mensch weitergegeben, machen krank oder können sogar töten. Trotzdem: Corona wird kein Einzelfall bleiben, da sind sich die Fachleute einig.

»Wenn wir Pandemien in Zukunft wirkungsvoll bekämpfen wollen, müssen wir in der Vakzin-Herstellung wesentlich schneller werden«,

sagt Prof. Holger Ziehr, Bereichsleiter Pharmazeutische Biotechnologie am Fraunhofer-Institut für Toxikologie und Experimentelle Medizin ITEM. Er koordiniert das instituts- und fächerübergreifende Forschungskonsortium »Fraunhofer Vaccine Technologies«, das sich als Reaktion auf die Corona-Pandemie gebildet hat. Hier arbeiten Impfstoffexperten, Bioverfahrenstechniker, Produktionsingenieure und Verpackungsspezialisten daran, Impfstoffe schneller verfügbar zu machen – wie entscheidend das ist, haben die Monate der Pandemie gezeigt. Dafür wollen sie Vakzin-Kandidaten zügig in die klinische Prüfung bringen, Technologieplattformen entwickeln und vorhalten, Fertigung und Verpackung optimieren und massentauglich machen.

Weltweit wurden Impfstoffentwicklung und -produktion seit Jahrzehnten vernachlässigt. Herstellungstechnologien für klassische Totimpfstoffe haben sich seit den 1940er-Jahren kaum verändert, weil sich damit zu wenig Geld verdienen ließ. »Das Bewusstsein für ihre Bedeutung ist infolge der Corona-Pandemie deutlich gewachsen«, beobachtet Dr. Sebastian Ulbert, Leiter des Forschungsbereichs Infektionspathologie am Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie IZI in Leipzig. Der Virologe und Experte für Zoonosen ist zusammen mit Ziehr einer der Initiatoren von »Fraunhofer Vaccine Technologies«.

Normalerweise dauert es mehrere Jahre, um einen vielversprechenden Impfstoff-Kandidaten zu finden – Zeit, die man in einer Epidemie oder Pandemie nicht hat. Deshalb ist es entscheidend, mögliche Kandidaten für potenzielle Erreger schon zu identifizieren, bevor sie in großen Mengen benötigt werden. Für das West-Nil-Virus ist Ulbert und seinem Team das bereits gelungen.

 

Ausbreitung von tropischen Mückenarten in Europa
© Fraunhofer
Gefahr von Zoonosen: Noch ist die Zahl der registrierten Fälle gering, doch Experten rechnen in den nächsten Jahren mit einem rapiden Anstieg.

 

Erkrankte leiden häufig an hohem Fieber, Erbrechen, Durchfall, Erschöpfung, Gliederschmerzen. In seltenen Fällen kann es auch zu Gehirn- oder Hirnhautentzündungen kommen – wie bei FSME, das zur gleichen Virusfamilie gehört. Im Unterschied zu FSME wird das West-Nil-Virus jedoch nicht durch Zecken, sondern von der Gemeinen Hausmücke übertragen. In Leipzig mussten vergangenen Sommer elf Patienten mit schweren Verläufen stationär behandelt werden.

»Bevor sich das Virus in Deutschland weiter verbreitet – und das wird es sicher tun –, ist es wichtig, einen Impfstoff zu haben, zumal man sich vor Mückenstichen ungleich schwieriger schützen kann als vor Zeckenbissen«,

warnt Ulbert. Jetzt ist er auf der Suche nach Partnern aus der Industrie, um mit seinem Impfstoff-Kandidaten klinische Studien durchführen zu können. Auch Ziehr und sein Team am Fraunhofer ITEM konnten bereits einen Erfolg verbuchen: Durch eine Abkürzung des üblichen Verfahrens gelang es ihnen, einen Antikörper-Wirkstoff gegen Covid-19 innerhalb von sechs Monaten anstatt der üblichen zwei Jahre von der präklinischen in die klinische Phase zu bringen. Der sogenannte Passivimpfstoff soll das Immunsystem schwer erkrankter Patienten mit extern produzierten Antikörpern im Kampf gegen SARS-CoV-2 unterstützen. »Auch Virus-Proteine für konventionelle Impfstoffe wären so problemlos schneller herzustellen«, sagt Ziehr. Die Lösung: Er und sein Team vermehrten nicht den Klon, also die mühsam identifizierte Zelle, die den Antikörper am besten herstellt, sondern einen ganzen Zellpool, der diese Arbeit ebenfalls erledigt – auch wenn hier die einzelne Zelle vielleicht weniger produktiv ist.

»Wir hatten in einem vorangegangenen Projekt festgestellt, dass die aus dem Klon hervorgegangenen Zellen nach vielen Teilungen nicht mehr völlig identisch waren. Offenbar waren dabei Fehler passiert«, erklärt Ziehr. Daher stellte sich die Frage: Lohnt sich dann überhaupt der Aufwand, den Klon zu finden? Insbesondere in Zeiten einer Pandemie, in denen es um schnelle Lösungen geht? Sie wagten ein Experiment, setzten die anfängliche Suspension mit rund 5 000 000 Zellen unter Selektionsdruck und fanden so diejenigen, die den Antikörper herstellen konnten. »Das Ergebnis gibt uns recht. Die Zellen produzieren große Mengen Antikörper in Pharmaqualität, mit denen bereits Patienten behandelt werden.«

Der wirksamste Impfstoff nutzt jedoch nichts, wenn er nicht abgefüllt werden kann

– auch hier hat die Corona-Pandemie deutliche Schwächen offengelegt. »Allein in Europa werden Hunderte Millionen Glasvials, also Injektionsfläschchen, benötigt, doch die gibt es nicht. Die Herstellungskapazitäten sind begrenzt«, erklärt Ziehr. Verpackungstechniker am Fraunhofer-Institut für Schicht- und Oberflächentechnik IST und am Fraunhofer IPK entwickeln daher Alternativen aus Kunststoff, die schneller und wesentlich kostengünstiger per Spritzguss hergestellt werden könnten. Außerdem sind die Polymer-Ampullen bruchsicher, leichter und damit für den Transport besser geeignet. Das Problem: Der Kunststoff darf mit dem Impfstoff nicht reagieren und ihn so unbrauchbar machen. Eine schützende Beschichtung könnte die Lösung sein.

»Wir verfolgen vielfältige Ansätze, um in Zukunft besser mit neuen Viren Schritt halten zu können. Die Vernetzung im Forschungskonsortium ist dabei ein großer Vorteil. So werden beispielsweise bereits in der präklinischen Phase alle Beteiligten eingebunden und Voraussetzungen für die Herstellung des Impfstoffs in großem Maßstab mitbedacht. Prozessschritte laufen parallel, nicht hintereinander«, erklärt Ziehr. »Das spart Zeit, Kosten und führt zum besten Ergebnis.«

 

 

Ein Artikel von Dr. Sonja Endres aus dem Fraunhofer-Magazin 2/2021

Als epaper

Download [ PDF  15,52 MB ]