virtuell via MS Teams  /  28. April 2022, 13.00-14.00 Uhr

Session 2 mit Prof. Bettina Seeger Ph.D. am 28. April 2022 in der Reihe »Prädiktive Modelle der Zukunft – Alternativmethoden zu Tierversuchen«

Die Entwicklung prädiktiver In-vitro-Modelle für die humane Neurotoxikologie und -infektiologie ist von großer Bedeutung für die Pharmakologie und die Toxikologie. Da Biopsien von menschlichem Nervengewebe nur selten verfügbar sind und Zelllinien oft wichtige Eigenschaften fehlen, müssen neue neuronale Modelle durch Differenzierung aus induzierten pluripotenten Stammzellen (iPSCs) entwickelt werden. Zu den im Labor von Bettina Seeger verwendeten Methoden gehören Modelle des zentralen Nervensystems, beispielsweise Neurosphären, die verschiedene Subtypen von Neuronen, Oligodendrozyten und Astrozyten beherbergen, und des peripheren Nervensystems, zum Beispiel in ein innerviertes 3D-Ganzhautmodell integrierte sensorische Neuronen sowie Motoneuronen.

Diese neuen Methoden bergen ein großes Potenzial, um die Zahl der Versuchstiere in pharmakologischen Zulassungsstudien, der Kosmetikindustrie, bei der Zulassung von Chemikalien und bei biomedizinischen Fragestellungen zu verringern. Die Arbeitsgruppe von Bettina Seeger hat kürzlich gezeigt, dass menschliche, von iPSC abgeleitete Motoneuronen eine für den Menschen relevante Sensitivität gegenüber verschiedenen pharmakologisch verwendeten Serotypen von Botulinum-Neurotoxinen aufweisen, und zwar mit besserer Vorhersagekraft als der etablierte, sehr belastende Tierversuch, der Maus-Bioassay. Für die gesetzlich vorgeschriebene Wirksamkeitsprüfung von Botulinum-Neurotoxinen sind allein in Europa immer noch rund 400 000 Mäuse pro Jahr erforderlich. Durch die Entwicklung einer Serotyp-unabhängigen In-vitro-Methode könnten diese weitgehend ersetzt werden. Darüber hinaus bieten neue neuronale Modelle, die von menschlichen iPSCs abgeleitet werden, großes Potenzial für die Charakterisierung von stark speziesabhängigen Pathogenitätsmechanismen bei neu auftretenden Krankheitserregern. Mit Unsicherheit behaftete Spezies-Extrapolationen von Tierstudien könnten so vermieden, die Entwicklung neuer Arzneimittel unterstützt und die Vorhersagbarkeit optimiert werden.